Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, eine Form richtig auf dem Papier darzustellen. Dafür gibt es 3 hilfreiche Vorgehensweisen:
1) Markante Punkte fixieren und auf dem Zeichenblatt übertragenAuf diesem Foto vom sterbenden Gallier habe ich markante Punkte aufgetragen. Stellen wir uns vor wir möchten diese Skulptur zeichnen, so ist es erstmal hilfreich die Gesamthöhe oder –breite anhand von Begrenzungslinien auf dem Papier einzuzeichnen. Somit können wir genau bestimmen, wie groß und wo die Figur auf dem Zeichenblatt platziert wird. Als nächstes bestimmen wir die Mitte der Gesamthöhe oder –breite (auf dem Foto oben habe ich die Gesamthöhe eingetragen (vertikale Linie) und den Mittelpunkt in Blau). Dieser Mittelpunkt dient als Markierungspunkt und wir können mit ihm die Position anderer markanter Punkte innerhalb des Motivs festhalten. So z.B. erkennen wir, dass der linke Ellenbogen (von der Figur aus gesehen) kurz unterhalb des Mittelpunktes liegt.
Für das “Abmessen” können wir den Bleistift benutzen: Arm austrecken, Bleistift am unteren Ende anfassen, Kopf an der Schulterseite des ausgestreckten Arms anlehnen, ein Auge schließen, mit der Bleistiftspitze ein Fixpunkt anvisieren und mit dem Daumen die Länge abmessen.
Somit haben wir eine Länge, die wir mit anderen Längen der Figur vergleichen können. Manchmal ist das Motiv länger als der Bleistift und wir müssen zweimal messen (am Fixpunkt des Daumens die Bleistiftspitze wieder anlegen).
Mit diesem Prinzip können wir alle Horizontalen und Waagerechten abmessen und sogar Winkel besser beobachten. Wichtig ist, dass wir immer an der gleichen Stelle stehen und den Arm und den Kopf immer in der gleichen Stellung beim Abmessen beibehalten.
Auf diese Weise und mit Hilfe der vertikalen Gesamthöhe und des Mittelpunktes können wir am sterbenden Gallier bestimmte Fixpunkte ausmachen. So ist z.B. die Höhe des Fixpunktes am rechten Oberarm 1/3 der Gesamthöhe von oben betrachtet und seine horizontale Position die gleiche Strecke. Und der Fixpunkt am rechten Fuß liegt etwas mehr als 2/3 der Gesamthöhe rechts der vertikalen Höhenlinie. Meist verwendet man auch eine Einheitslänge (vorzugsweise die Kopfhöhe), anhand man dann schnell andere Streckenlängen vergleichen kann. Das Abmessen dient vor allem dazu, das Auge zu trainieren. Später wird man diese Hilfspunkte und –linien mental abmessen können. Doch bis dahin bedarf es einiges an Übung.
2) Geometrisierung des Motivs Als nächstes sollte man das Motiv als Block mit geraden Umrandungslinien analysieren und darstellen. Auch hier bedienen wir uns des Bleistiftes um Länge und Winkel der einzelnen Linien abzumessen. Damit lassen sich die Formen einfacher erkennen und später darstellen. Anschließend brauchen wir nur noch die Rundungen in der Kontur mit den geraden Linien zu vergleichen.
3) Rundungen richtig beobachten und auf die Zeichenoberfläche übertragen
Rundungen lassen sich auf einfache Weise analysieren und darstellen. Als erstes bestimmt man die Anfangspunkte einer Rundung (sowohl Höhe wie auch Breite) und zieht eine gerade Linie zwischen diesen beiden Punkten. Dann bestimmt man die weiteste Stelle der Rundung zu dieser geraden Linie. Anschließend lässt sich die Kurve gut übertragen.
Mit diesen ersten Schritten lässt sich ein Motiv gut erfassen und seine Kontur proportionstreu auf die Zeichenoberfläche übertragen. Die Vorgehensweise ist sehr mechanisch und bietet daher kaum Spielraum für den eigenen Zeichenstil und die künstlerische Freiheit, jedoch lernt man dabei besser zu beobachten, was das A und O des Zeichnens ist.
Aus: The practice & science of drawing (Harold Speed)